„Menschliches Denken und künstliche Intelligenz“
Durch Empfehlung eines Kollegen stieß ich auf ein weiteres Buch über Künstliche Intelligenz. „Der elektronische Spiegel“ blickt jedoch aus einem anderen Blickwinkel auf das Thema. Die Wissenschaftsjournalistin Manuela Lenzen nimmt uns mit auf eine faszinierende Reise durch das dynamische Forschungsfeld der Künstlichen Intelligenz (KI). Der Klappentext spricht passend vom „Abenteuer, Intelligenz zu verstehen, indem man sie nachbaut“.
Das Buch umfasst 10 Kapitel:
- Alternative Intelligenz
- Im Reich der Geister
- Ein „krass großes Problem“
- Raus aus dem goldenen Käfig
- Die Welt wahrnehmen
- Der Mensch als Vorbild
- Sprache und das „abstrakte Denken“
- Zwischen Verwirrung und Verführung
- Alle Modelle sind falsch, aber manche sind nützlich
In diesen beleuchtet die Autorin die Entwicklung der KI seit den 1950er Jahren und beschreibt anschaulich, wie sich die ursprünglichen Vorstellungen von KI als „klugen Maschinen“ gewandelt haben. Dabei macht sie deutlich, dass die heutigen KI-Systeme, wie etwa die Large Language Models (LLM) wie GPT-4, noch weit davon entfernt sind, menschliche Intelligenz zu erreichen. Diese Systeme sind zwar in der Lage, beeindruckende Leistungen zu erbringen, sei es das Generieren von Gedichten oder das Erstellen von Bildern. Gleichzeitig zeigen sie aber auch große Defizite, insbesondere im Bereich des „gesunden Menschenverstands“ und des Alltagswissens.
Lenzen betont, dass Intelligenz keineswegs eine einheitliche und isolierte Eigenschaft ist, sondern stark von Kontext und Aufgaben abhängt. Eine „allgemeine Intelligenz“ („General AI“), die jedes Problem lösen und alles Wissen verstehen kann, erscheint deshalb möglicherweise technisch nicht realisierbar und eher als ein Mythos. Stattdessen setzt Lenzen den Fokus auf die Kognitionswissenschaft und die Frage, was Intelligenz überhaupt bedeutet und wie sie funktioniert.
Besonders interessant ist der Ansatz, KI-Systeme nicht nur auf Basis von Texten und Bildern zu trainieren, sondern ihnen die Fähigkeit zu verleihen, in einer simulierten oder realen Umgebung zu interagieren. Dies führt zu Herausforderungen, die über reine Problemlösungen hinausgehen. Deshalb beleuchtet das Buch auch die Herausforderung, Maschinen abstraktes Denken beizubringen und setzt sich mit Themen wie Neugierde in autonomen Robotern und der Nachbildung kindlicher kognitiver Entwicklung durch KI-Systeme auseinander.
Fazit
Das Buch ist angenehm sachlich und verzichtet auf übermäßige Euphorie oder pessimistische Spekulationen über existenzielle Bedrohungen durch KI. Lenzen bleibt eng am Konkreten und stützt ihre Argumente durch zahlreiche Praxisbeispiele und Expertenstatements. Dadurch bietet „Der elektronische Spiegel“ einen verständlichen und aktuellen Überblick über das Thema, ohne sich in unnötigem Geschwafel zu verlieren.
Durch die Fragestellung, was wir durch Künstliche Intelligenz über menschliche Intelligenz lernen können, bietet das Buch einen spannenden und bereichernden Blickwinkel. Den der letzte Satz gut widerspiegelt: „Menschen müssen spielen, kommunizieren und interagieren, um klug zu sein. Gegen gelegentliches Nachdenken ist freilich auch nichts einzuwenden“.
Insgesamt ist „Der elektronische Spiegel“ eine lesenswerte Lektüre für alle, die sich für Künstliche Intelligenz und die Frage nach Intelligenz im Allgemeinen interessieren. Es bietet eine nüchterne und gut recherchierte Darstellung der aktuellen Entwicklungen in der KI-Forschung. Gleichzeitig regt es dazu an, über grundlegende Fragen des Geistes und der menschlichen Wahrnehmung nachzudenken. Ein empfehlenswertes Buch für alle, die sich von der Faszination und den Herausforderungen der Künstlichen Intelligenz mitreißen lassen möchten.
Manuela Lenzen
Der elektronische Spiegel – Menschliches Denken und künstliche Intelligenz
Softcover, 272 Seiten, C.H. Beck, München, 2023